Max – Espiansueños. Spion der Träume

Kongresszentrum Heinrich-Lades-Halle Erlangen, Großer Saal
10.–13. Juni 2004
Öffnungszeiten: Do 12-19, Fr/Sa 10-19, So 10-18 Uhr

Man muss es sich einmal vorstellen: Da praktizieren anarchistische Polit-Mystiker in England, Holland, Frankreich, Deutschland und den USA genau abgestimmt, zeitgleich im November des Jahres 1975 ein geheimes schwarz-magisches Ritual, das bei Eliphas Levi erstmals beschrieben und später von dem heroinabhängigen Aleister Croweley verfeinert wurde. Sie tun dies, um Genossen aus Spanien zu helfen, eine mehr als dreieinhalb Jahrzehnte währende Pest zurück in die Hölle zu schicken.

Es war einer der schlechtesten Aprilscherze des Jahres 1939, als El Caudillo Generalissimo Franco der jungen Republik Spanien mit tatkräftiger Unterstützung deutscher und italienischer Truppen endgültig das Genick brach. Fünf Monate später begann der Zweite Weltkrieg. Vor Francos Sieg und auch noch lange danach wurde durch Tausende von Toten, Exekutierten, Gefallenen, Ermordeten eines jener zarten Pflänzchen der Anarchie zerstört, das zu den vielversprechendsten in Europa gehörte. Noch paradoxer, als die eingangs geschilderte Szene, war, dass damals Anarchisten sogar Minister in der republikanischen Regierung stellten. Doch machen wir uns nichts vor, als der letzte faschistische Diktator Europas am 20. November 1975 starb, war es seine seit Jahren angeschlagene Gesundheit, die dafür verantwortlich zu machen ist.
Die anarchistischen Wurzeln, die im Spanien der 70er Jahre schlagartig wieder zu treiben beginnen, keimen natürlich im Untergrund und bringen fast explosionsartig eine Artenvielfalt hervor, wie dies nur lange unterdrücktes Leben vermag. Underground nährt Underground. Es war Robert Crumb, der Francesc Capdevila die Augen für die Möglichkeiten der Comics öffnete. Noch war die Blase der Unterdrückung und Erstarrung nicht geplatzt, noch lebte der alte Mann, aber im Untergrund bei den Graswurzeln brodelte es bereits gewaltig. 1956 im Zeichen der Jungfrau geboren, stößt Francesc 1973 zusammen mit drei weiteren Künstlern als Siebzehn-, Achtzehnjähriger zur Gruppe „El Rrollo Enmascarado“. In dem von ihnen publizierten Heft kann er seine erste Arbeit veröffentlichen. Es wird von den Künstlern eigenhändig auf den Straßen Barcelonas verkauft und markiert den Beginn einer beeindruckenden Karriere.
Doch erst ein Jahr später beginnt er, sich den Namen zu machen, unter dem man ihn seitdem kennt. Angeregt von Max Ernst signiert er jetzt seine Bilder, Comics, Illustrationen als Max. Man sieht: von Dada, über Surrealismus bis zu den Situationisten reichen die Einflüsse. Er zeichnet eine Comic-Version von Marx’ „Das Kapital“. Und sein erster international bekannt gewordener Comic-Charakter „Gustavo“ entsteht angesichts der ebenso end- wie fruchtlosen Debatten auf der Kunstakademie zwischen den Polit-Aktivisten und den kiffenden Drop-outs.
Inzwischen ist der alte Mann unter der Erde und die Diktatur vollzieht die Metamorphose vom Königreich zur Demokratie. „Gustavo” debütiert in „El Vibora”. In diesem dienstältesten spanischen Comic-Magazin unter der Leitung von Josep Maria Berenguer ist Max vom ersten Heft an dabei und wird der heimliche Star. Nicht nur die spanische Gesellschaft verändert sich, auch der Stil von Max bewegt sich fort vom underground-geprägten Ausdruck hin zur ligne claire. Er entdeckt die Arbeiten von Joost Swarte und Ever Meulen. Seine neue, klare Linie bleibt jedoch dynamischer und expressiver als die seiner Vorbilder. „Peter Pank“ löst „Gustavo“ ab und in den 80er Jahren werden die Comics von Max auch in Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Dänemark, USA, Finnland und Deutschland veröffentlicht; in den 90ern auch noch in Kanada und Italien. Max selbst folgt indessen ganz anderen Spuren: Kinderbuchillustration, Poster, Filmskript, Serigraphie, Entwürfe für Platten- und CD-Cover, Cover-Illustrationen für den New Yorker, Animation. Trotzdem bleibt er dem Comic treu. 17 Alben hat er seit „Gustavo“ veröffentlicht, die meisten bei La Cupula, dem Verlag, in dem auch „El Vibora“ erscheint. Und er wird selbst zum Verleger: Mit seinem Fanzine „Nosotros somos los muertos“ („Wir sind die Toten“) versucht er der kränkelnden Comic-Kultur Spaniens 1993 wieder auf die Beine zu helfen.
In Deutsch wurden einige seiner Werke seit Mitte der 80er Jahre in U-Comix publiziert, später in Strapazin, Alben kamen im Alpha-Comic Verlag und bei Reprodukt heraus. Wenn man sich im Werk dieses spanischen Ausnahmekünstlers auf Spurensuche begibt, wird man ebenso auf seinen Landsmann, den Meister des surrealistischen Films Luis Buñuel stoßen wie auf einen der größten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, den Argentinier Jorge Luis Borges. Vor allem aber schwingt in sehr kontrollierter Weise in jeder Linie, die Max zeichnet, etwas von dem Atem der Anarchie, der für die Kultur Spaniens im 20. Jahrhundert so wichtig war. Max ist einer der Garanten, dass diese Schwingungen auch noch im 21. Jahrhundert sichtbar werden.
Achim Schnurrer

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