Dave McKean – Narcolepsy
Erzählungen in visuellem Jazz
Kunstmuseum Erlangen e.V.
5.–13. Juni 2004
Eröffnung: Freitag, 4. Juni, 19 Uhr
Öffnungszeiten 5.–9. Juni: Sa/So 11-16, Di/Mi 11-18 Uhr
Öffnungszeiten 10.–13. Juni: Do 11-19, Fr/Sa 10-19, So 10-18
Uhr
Während die Kunst der Moderne nach dem immer Neuen,
noch nicht da Gewesenen strebte, wurde sie sich in der Postmoderne des
ungeheuren Fundus bewusst, auf den Künstler nunmehr zurückgreifen
können – was Inhalte, was Formen und was Techniken betrifft.
Auch dem aktuellen Comic-Künstler steht so ein Fundus offen, umso
mehr, wenn ihm der Spreizschritt zwischen der angewandten Grafik des Marktes
und der freien Kreativität für Ausstellungshallen so gut gelingt
wie Dave McKean.
Es genügt, den Abschlussband des von ihm getexteten und gestalteten
Zyklus „Cages“ durchzublättern. Hier wechseln sich Umrissformen
in Tusche mit Stimmungs-Valeurs in Duochrom-Technik, expressiven Strichen
in der Tradition von Meidner, Heckel oder Kirchner, Objektbildern, puren
Fotos, übermalten oder mit dem Computer bearbeiteten Lichtbildern
und sogar einer Farbexplosion wie von William Turner ab. Das Titelbild
ist eine jener Collagen, die inzwischen zu McKeans Markenzeichen geworden
sind. In dem Band schließt der Erzähler McKean den Kreis des
göttlichen Abstiegs unter die Menschen in einer großen Reflexion
über Kunst und Kreativität, über Schöpfungslust, Schöpfungsqual
und die daraus resultierende Einsamkeit.
„Cages“ ist eine der wenigen Geschichten, die Dave McKean
selbst als Vorlage für sein grafisches Erzählen geschrieben
hat. Er wollte einen Comic kreieren, den er selbst gern lesen würde.
Dass ihn viele Comic-Fans mit dem Batman-Album „Arkham Asylum“
als einem ersten großen Erfolg im Jahr 1988 in Verbindung bringen,
ärgert ihn längst. Er sagt, dass er keine Superhelden mag. Darin
ist er konsequenter als sein literarischer Partner Neil Gaiman. Zu dessen
Szenarien hat er die meisten seiner Arbeiten geschaffen, jüngst das
schwarze Kinderbuch „The Wolves in the Walls“, in dem er wieder
ein breites ästhetisches Spektrum entfaltet.
Dieses Spektrum hat sich nie auf narrative Grafik wie im Fall von „Violent
Cases“ oder „Der letzte Film“ konzentriert und reduziert,
auch nicht auf die Cover-Collagen der Alben von Gaimans „Sandman“-Serie.
Doch schon diese Collagen drängen zum autonomen Werk, genau wie McKeans
zahlreiche Entwürfe für Buchtitel, Platten-Cover und CD-Hüllen.
Stets ist die Vorlage ihm Anstoß zu eigenen Visionen und den Kombinationen
alter oder dem Ausprobieren neuer Stilmittel. Skulptur und Maske gehören
dazu, Readymades, Fotomontagen und digitale Manipulationen. Er nimmt den
Blick der Wirklichkeit, um ihn umzukehren und verändert auf die Wirklichkeit
zurückzuwerfen. So funktionieren auch seine Filme, Experimente, die
in mancher Hinsicht an Peter Greenaway erinnern, aber weniger geklügelt
sind, poetischer, magischer, musikalischer in ihrem Rhythmus.
Musik ist ja die wirkliche Leidenschaft des vielfach dekorierten Briten
aus der Grafschaft Berkshire (geboren 1963). Jazz vor allem. Er spielt,
er komponiert, er arrangiert. Wer genau hinsieht, entdeckt die Musik in
seinen Bildern und Objekten wieder. Farbklänge, wie mit einem Dämpfer
reduziert. Kupfer, Ocker, erdiges Braun, rostiges Rot. So liegt die Welt
des Dave McKean unter einer stillen Glut. Fundstücke werden in seine
Bild-Kompositionen integriert, Motive improvisiert und variiert. Illustrativ
ist alles. Manchmal tendiert ein Blatt zur Gefälligkeit. Dann greift
er doch wieder zur Feder, und allzu Gefälliges löst sich in
aufgeraut surrealen Skizzen auf.
Über die Retrospektive auf seine Arbeiten hat Dave McKean den Titel
„Narcolepsy“ geschrieben. Das ist ein klinischer Begriff.
Er steht für die Krankheit, die Menschen von einer Sekunde zur nächsten
in Schlaf versetzt. Eine Erstarrung, der Träume folgen. Träume
bestehen aus Bildern. Geschichten setzen sich in Bildern fest. Auch wenn
McKean Bilder nicht auf Folgen anlegt, wie es sich für Comics gehört,
bleiben sie im Herzen erzählerisch. Er ist kein Künstler des
gefrorenen Augenblicks, sondern ein Künstler, in dessen Blättern
sich stets Zeit entfaltet. Deswegen ist er in fast jedem Werk ein Erzähler.
Vielleicht ist es ja der Kunst-Betrachter, den die Narkolepsie erfasst.
Er fällt in Starre – und im Objekt gegenüber beginnen
sich seine Träume zu regen.
Herbert Heinzelmann
Eine Ausstellung des 11. Internationalen Comic-Salons
Erlangen in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Erlangen e.V. und Beeld
Beeld, Belgien.
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