Claire
Wendling – Wandlerin zwischen den Welten
Kongresszentrum Heinrich-Lades-Halle Erlangen, Großer
Saal
10.–13. Juni2004
Öffnungszeiten: Do 12-19, Fr/Sa 10-19, So 10-18 Uhr
Erlangen 2004 bietet all denen, für die Comics
auch und vor allem ein ästhetischer Genuss sind, endlich die Gelegenheit,
mit einer der großartigsten Zeichnerinnen ihrer Generation Bekanntschaft
zu schließen, mit Claire Wendling. Dass die 1967 in Montpellier
geborene Ausnahmekünstlerin hierzulande so gut wie unbekannt ist,
hat sicherlich auch mit dem unglücklichen Schicksal ihrer deutschen
Verleger zu tun. Die ersten beiden Folgen ihrer wichtigsten Serie, „Les
lumières de l’Amalou”, erschienen nämlich unter
dem Titel „Amalu” 1992 und 1994 im Alpha-Comicverlag, bevor
dieser von ein paar selbsternannten Sittenwächtern in die Geschäftsunfähigkeit
getrieben wurde, der dritte Band folgte dann unter dem Reihentitel „Die
Lichter von Amalou” 1999 bei Splitter. Auch diesen Verlag gibt es
inzwischen bekanntermaßen nicht mehr, und so sind die abschließenden
Bände 4 und 5 eines der märchenhaft-poetischsten Werke der Graphischen
Literatur dem deutschsprachigen Publikum bisher vorenthalten geblieben.
Die Behauptung, Claire Wendling sei „hierzulande so gut wie unbekannt”
trifft allerdings auf eine Berufsgruppe nicht zu: Unter ihren Kolleginnen
und Kollegen aus der Illustrationsbranche, unter kommerziellen Zeichnern
und Trickfilmern ist sie schon lange weit mehr als ein Geheimtipp. Ihre
Arbeiten sind in diesen Kreisen ein steter Quell der Freude und der Inspiration,
eine permanente Herausforderung an die eigene Kreativität. Sie genießt
unter ihresgleichen als Wanderer zwischen zwei Welten ein Ansehen, welches
sie mit den „Blacksad”-Schöpfern Juan Diaz Canalès
und Juanjo Guarnido sowie mit dem „W.I.T.C.H.”-Team um Elisabetta
Gnone und den „Sky Doll”- und „Monster Allergy”-Machern
Barbucci und Canepa auf eine Stufe stellt.
Was all die Genannten miteinander und mit Claire Wendling gemeinsam haben,
ist ein ästhetischer, ausgesprochen gefälliger Strich, der gleichzeitig
extrem ökonomisch und ungemein ausdrucksstark ist – ein Strich,
wie er seit ungefähr fünfzehn Jahren im internationalen Zeichentrickfilm
favorisiert wird. Stand die Animationsindustrie bei Canalès/Guarnido
und den Italienern am Anfang ihrer Karriere (sie alle wurden von Disney
ausgebildet), so ging Claire Wendling einen anderen Weg. Sie ist eindeutig
ein Spross der Bande Dessinée, des frankobelgischen Autorencomics,
und ihre ersten, ins Jahr 1989 zurückreichenden Arbeiten erinnern
stark an Max Cabanes und Régis Loisel. Kein Wunder, besuchte sie
– die eigentlich Biologie studieren wollte – damals doch die
Ecole des Beaux-Arts in der französischen Comic-Hauptstadt Angoulême.
Zwischen diesen ersten Arbeiten und Wendlings Charakterdesigns etwa für
„Quest for Fire” und „Excalibur” (für Warner
Brothers) oder „Thorgal” (für MDI) liegen Welten, und
ihre klassischen Illustrationen für den dritten Band von „Aphrodite”
(englischsprachige Ausgabe 2000 bei Humanoids Inc.) scheinen noch einmal
von einem anderen Stern zu stammen. So lässt sich als herausragendes
Charakteristikum von Wendlings bisherigem Werk wohl ihre außergewöhnliche
Wandlungsfähigkeit konstatieren, frei nach dem Motto: „Immer
anders – immer schön!”
Vorbilder und Inspirationsquellen für Wendlings erotische „Aphrodite”-Tafeln
– der von der Künstlerin illustrierte Text stammt übrigens
von Pierre „Bilitis” Louÿs und ist erstmals 1896 veröffentlicht
worden – waren offenbar unter anderem Egon Schiele, Alfons Mucha
und Aubrey Beardsley, aber auch Anklänge an Loisel und Lorenzo Mattotti
sind augenfällig. „Ölfarben, Pastelkreiden, Photoshop
– ich habe alle möglichen Techniken verwendet”, sagt
sie. „Für mich hat ein Ölbild den gleichen Stellenwert
wie eine im Rechner erstellte Zeichnung. Das soll nicht heißen,
die Resultate seien am Ende alle gleich. Ich will damit sagen, dass ich
keines meiner Medien bevorzuge. Diese Offenheit bewahrt mich vor kreativer
Gefangenschaft.”
Die Angst, in einem Gefängnis zu erwachen, ist nicht nur ein wichtiges
Handlungsmotiv ihrer Figuren in „Amalou”, sie kennzeichnet
auch die Unrast der Künstlerin selbst: „Ich muss immer ausprobieren,
was ich noch nie gemacht habe, Dinge die mir unmöglich scheinen.
Nach dem Ende von ‚Amalou‘ zu Warner nach Los Angeles zu gehen,
war für mich eine große Chance, etwas anderes als Comics zu
machen. Ich fühlte mich damals als Gefangene einer Ausdrucksform
und wollte unbedingt eine andere ausprobieren.”
„Aphrodite” war dann eine Art Flucht vor der auf Kommunikation
ausgerichteten, arbeitsteiligen Produktionsweise beim Zeichentrickfilm.
Eine Flucht in ein klassisch-bürgerliches Illustrationsprojekt, eine
Flucht quasi ins neunzehnte Jahrhundert. Nach all den stilistischen und
produktionstechnischen Recherchen, die dafür nötig waren, ist
inzwischen aber die Lust in Claire Wendling wiedererwacht, sich erneut
in der Ausdrucksform Comic zu beweisen.
Mal sehen. Vielleicht trägt ein Erfolg der Wendling-Ausstellung in
Erlangen ja dazu bei, dass das deutschsprachige Publikum diesmal mit von
der Partie ist, wenn diese Frau zu einem neuen, kreativen Höhenflug
ansetzt. Zu wünschen wär’s allemal – der sympathischen
Künstlerin ebenso wie dem hiesigen Publikum.
Jens R. Nielsen
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