Igort – Ausdruck des Schicksals

Kongresszentrum Heinrich-Lades-Halle Erlangen, Großer Saal
10.–13. Juni 2004
Öffnungszeiten: Do 12-19, Fr/Sa 10-19, So 10-18 Uhr

Italiens Comic-Landschaft ist äußerst vielgestaltig und lebendig. Für den deutschen Interessenten ist sie allerdings weitgehend terra incognita. Er kennt vielleicht gerade mal ein paar Zeichner, die für Disney arbeiten. Wenn es hoch kommt, sagen ihm die Namen Hugo Pratt und Manara etwas. Den Rest will er anscheinend gar nicht kennen lernen. Dass der Erlanger Salon 1998 den grafisch perfekten, moralisch tief schwarzen und erotisch höchst anregenden Roberto Raviola alias Magnus vorstellte, blieb für dessen Verbreitung in den Bundesländern ohne Folgen. Die deutsche Ausgabe des italienischen Kult-Fumetto „Diabolik“ verendete nach wenigen Nummern. Und Tiziano Sclavis wunderbar intermediale Horror-Spielshow „Dylan Dog“ hat es unverdient schwer.
Sollte Igort in Deutschland mehr Glück haben, dann wohl weniger, weil hier viele die Qualität seiner Arbeit erkennen und anerkennen, sondern weil er eine Zeit lang in Japan gelebt und Mangas gezeichnet hat. (Er hat sogar den Ruf, der erste Manga-Künstler aus dem Westen zu sein.) Und das genügt der aktiven Comic-Szene derzeit, um wenigstens ein bisschen neugierig zu sein. Die Ausstellung zu Igorts Werk präsentiert beide Seiten des Künstlers. Da ist einmal jene, die sich dem Markt andient, ohne ästhetisch nachlässig zu werden; denn Igorts Manga-Geschichten kommen zwar der nachgefragten Niedlichkeit von Figuren nach, setzen sie aber in grafisch ausgefeilte, in große Tiefenschärfe hinein entworfene Räume und spielen sympathisch versponnen mit den Gestalten der Phantasie. Die andere Seite will im vollen Bewusstsein, dass Geld im Comic-Medium nur mit Mangas oder Superhelden zu verdienen ist, ganz unkommerziell mit der Bilderzählung experimentieren. „Es gibt noch so vieles zu entdecken, trotz der unzähligen Comics, die schon gemacht wurden“, sagte Igort in einem Interview mit der Comixene.
Der Kunst- und Künstlername Igort ist eine Kompression aus Igor Tuveri. Tuveri wurde 1958 in einem kleinen Ort auf Sardinien geboren. Seine Karriere startete wie die vieler italienischer Zeichner mit der Entscheidung für den Professionalismus in Sachen Fumetti und Veröffentlichungen in vielen Magazinen. Tuveri hielt sich allerdings fern von Routine und verknüpfte sein Gewerbe mit Aktivitäten in anderen Medien. Er stellte eine Band zusammen, produzierte Musikvideos, gründete Comic-Magazine und wirkte in verschiedenen Gruppierungen der italienischen Zeichner-Avantgarde, u.a. mit Lorenzo Mattotti. Dessen expressiver Stil hat Igorts europäische Arbeiten ebenso befruchtet wie die heftige Schattenmalerei des Argentiniers Muñoz. Getragen von solchen Traditionen, vertrat Igort sein Land 1994 auf der Kunst-Biennale in Venedig.
Im Zentrum von Igorts Kunst steht der Ausdruck. Es ist der Ausdruck von Gesichtern, die von den Seelen zur Kenntlichkeit zugerichtet wurden. Es ist der Ausdruck von Landschaften, die auch in den Mangas nicht nur Kulissen-Funktion haben, sondern von selbst zur Sprache kommen, sei es (in den Mangas) durch die satten Farben, die Stimmungen artikulieren, oder durch die auffällig malerischen Zitationen klassischer Holzschnitt-Verfahren, sei es (im europäischen Werk) durch Reduktion des Strichs wie durch kalkulierte Wirkung von Licht und Schatten. Um diese Wirkung zu betonen, arbeitet Igort mit Duochrome-Technik. Über die Zeichnungen mit Stift, Pinsel oder Feder werden Felder aus einer zweiten Farbe geblendet (Grau meist oder ein stumpfes Blau). Das ergibt die geradezu plastische Wirkung einer Lichtführung, die man im Film Noir als „low key“ bezeichnet: Betonung statt Verdrängung der Schatten bis hin zum Schattenriss. Seine Panels zeichnet Igort häufig auf Papierausrisse, die er dann auf die Seite klebt. So entsteht eine selbst im Sonnenglanz gebrochene Atmosphäre für Geschichten aus dem Milieu der Mafia. Geschichten von Menschen, die ihrerseits gebrochen sind und die ihr Schicksal noch dort lakonisch erfüllen, wo es ins Dunkel führen muss.
Die andere Seite Igorts leuchtet aus den heiteren Aquarell- und Acryl-Welten seiner Mangas. Dort haben Schatten kaum eine Chance außer als romantisches Zitat. Dort weiß man, dass jede Bedrohung in Rettung umschlagen wird. Dort wirkt der Dr. Jekyll in Igor Taveri. In Europa aber herrscht der künstlerisch ungleich anspruchsvollere Mr. Hyde.
Herbert Heinzelmann

Siehe auch Max und Moritz-Preis



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