Last
Night A Comic Saved My Life
Die unendliche Geschichte der wundersamen
Beziehung zwischen Comics und Musik
Einen Artikel zu „Comics und Musik“ zu schreiben ist ein
äußerst undankbarer Job. Bei näherer Betrachtung, vor
allem nach dem Durchwühlen der Platten- und Comic-Sammlung, stellt
sich die Frage eher unter umgekehrten Vorzeichen: „Welcher Comic
oder Comiczeichner hat eigentlich nichts mit Musik am Hut?“ Dass
die Verbindungen äußerst mannigfaltig sind, soll im Folgenden
skizziert werden. Ein Anspruch auf Vollständigkeit wird gar nicht
erhoben.
The Sound Of Comics
Comics und Musik haben von Anbeginn der Comicgeschichte ein inniges Verhältnis.
Wilhelm Busch ging mit seinem Comic „Der Virtuos“ von 1865
sogar in die Kunstgeschichte ein. Denn er hat das Klavierspiel eines Pianisten
als zeitgleiche Bewegungsphasen in Einzelbildern festgehalten, um Geschwindigkeit
und Dynamik zu suggerieren und hat damit die malerischen Aufgaben des
Futurismus vorauserledigt. Dass die Musik ein wichtiges Instrument für
die Steigerung der Popularität von Comics sein kann, erkannte Richard
F. Outcalt 1896. Er veröffentlichte auf zwei Doppelseiten in dem
New York Journal den Text und die Noten zu einem Lobgesang auf seinen
Yellow Kid, mit dem Titel „The Latest And The Greatest“. In
den folgenden Jahrzehnten sollte die Verknüpfung von Comics und Musik
für beide Kunstformen zu einem wichtigen Popularitäts-Indikator
werden.
In den 60er Jahren band die Musikindustrie die Comics in ihre Vermarktungsstrategien
von Bands und Popstars ein. „Everybody is a Comicstar“ könnte
man die Zeit nennen, als Hefte mit den Monkees und der Beatles-Film „Yellow
Submarine“ herauskamen. In den 80er Jahren entwickelten „Kiss“
einen Mythos um ihre Heftreihe. Angeblich soll den Musikern Blut abgezapft
worden sein, das unter die Druckerfarbe gemischt wurde. Wer wollte nicht
immer schon einmal einen Teil von einem echten Popstar zwischen den Fingern
halten oder gar besitzen? Peinlich kann es dagegen werden, wenn Musiker
„lustige“ Comic-Abenteuer erleben, wie z. B. Die Ärzte
oder der Wu-Tang-Clan. Hierbei erfüllen die Comic-Geschichten eine
Potenzierung des Mythos um die Popstars und ihrer Libido, was dementsprechend
schnell langweilig wird.
Culture Club
Es gibt aber auch Zeichner, die nicht dem Sex, Drugs and Rock ’n’
Roll Klischee verfallen sind. Der französische Comic-Künstler
Loustal zeichnete in den 90er Jahren mit „Besame Mucho“ eine
feinfühlige Milieustudie der Jazzszene, für die er die Geschichte
des Saxophonisten Stan Getz adaptierte. Das argentinische Autoren- und
Zeichnerduo Muñoz und Sampayo schuf eine liebevolle Hommage an
die Jazzsängerin Billie Holiday. Diese Comics verfolgen eine ganz
andere Intention. Sie arbeiten gegen einen Mythos, indem sie die Musikkultur
und die Schicksale ihrer Protagonisten skizzieren und so versteckte Seiten
offen legen.
Einen enormen Schub erlebten die Comics im Zuge des Punk. In Fanzines,
auf Flyern und mit Hilfe von einfachen Kopien wurden Comics unter die
Leute gebracht. Die Überzeugung „Jeder kann Gitarre spielen“
traf auf die Einstellung „Jeder kann zeichnen.“ Comics sind
aus der Punkkultur nicht wegzudenken und ein Großteil der Comic-Zeichner
würde wahrscheinlich ohne diese Bewegung heute nicht zeichnen. Aus
diesem Geist heraus ist das „Love & Rockets“ Epos der
Hernandez Brüder entstanden, die sich in ihren Comics explizit mit
Jugendkultur in Verbindung mit Musik auseinandersetzen. Ihre Protagonisten
tragen mit Vorliebe Band-T-Shirts, gröhlen Refrains von Black Flag
oder versuchen zu Digital Undergrounds „Doowatchyalike“ zu
strippen. In „Love & Rockets“ spielt die Musikkultur eine
tragende Rolle, weil sie im Comic sowohl die Sozialisierung der jugendlichen
Heranwachsenden in eingeschworenen Milieus verdeutlicht, als auch in direkten
Bezug zu den Rezipienten tritt. Der in Berlin lebende Exil-Hamburger Andreas
Michalke beschäftigt sich in seinen Comics „Artige Zeiten“
und „Smalltownboy“ eingehend mit dem Phänomen der Rezeption
und flechtet in sie autobiographische Elemente aus seiner langjährigen
Musikbesessenheit ein, die er sowohl als Musiker als auch als Hörer
auslebt. Mawil arbeitet mit Michalke im gleichen Atelier und befasst sich
in seinem neuen Comic mit dem kollektiven Erlebnis, eine „Band“
zu sein. Das Zeichnen von Comics steht dem gemeinsamen Musikmachen diametral
gegenüber. Während die Musik der meisten Bands beim Proben entsteht,
kann sich ein Comic-Zeichner zwar in einer Ateliergemeinschaft befinden,
führt die Arbeit jedoch schlussendlich allein aus.
Gimme Mo’ Money – Plattencover
von Comic-Zeichnern
Das Leben als Comic-Zeichner und als Musiker kann ein hartes Brot sein.
Es versteht sich von selbst, dass man sich gegenseitig Jobs zuschanzt,
wenn es um die Gestaltung von Platten- und CD-Cover geht. Andererseits
gibt es natürlich auch Auftragsarbeiten, bei denen man sich fragt,
wie die Comiczeichner zu der Musik gekommen sind. Ein Beispiel hierfür
ist Mark Beyer, der mehrere Platten von „Coldcut“ gestaltet
hat. Plattencover mit Comic-Motiven sind vor allem eine Reminiszenz an
eine verwandte Sub- und Popkultur. Oftmals üben sie bewusst eine
Signalfunktion und Identifikation bei ihren Zielgruppen aus. Oder hat
schon irgendjemand Comic-Illustrationen auf einem Klassikalbum gesehen?
Wer sich mit den leider schon fast in Vergessenheit geratenen Vinyl-Singles
befasst, kann dabei einige wunderbar gestaltete Objekte finden. Top of
the Pops sind die Tonträger von Elvis Stereo, unter dessen Namen
die beiden Genfer Comic-Künstler Helge Reumann und Xavier Robel ihr
Label betreiben. Sie zeigen sich verantwortlich für die Auswahl der
Bands und das Entwerfen der Siebdruck-Cover.
Die erste Single ist für viele Musiker immer noch die Erfüllung
eines Traums. Durch eine besondere Zeichnung oder Gestaltung der Platte
verleiht man ihr einen zusätzlichen Wert. Zudem lässt das Medium
eine viel größere künstlerische Freiheit zu, als eine
CD-Single. Thomas Ott hat z.B. die Notwist-Single „Torture Day“
in ein Leporello verwandelt. Da die Single-Produktion aufgrund kleiner
Auflagen und unkonventioneller Vertriebswege so schwierig zu überschauen
ist, ist dieses Themenfeld natürlich eine wahre Fundgrube für
Fans.
Nicht weniger unüberschaubar ist der Albummarkt. Vielleicht findet
sich mal jemand, der die Cover folgender Künstler und Bands katalogisiert:
Charles Burns für Iggy Pop, Mark Marek für Rolling Stones, Druillet
und Moebius für Jimi Hendrix, Steven Appleby für Pixies, Hugo
Pratt für Paolo Conte, Dave McKean u.a. für Alice Cooper und
Michael Nyman, Simon Bisley für Motorhead, Hunt Emerson für
The Jazz Butcher, Daniel Clowes für Urge Overkill und Gary Panter
für die Red Hot Chili Peppers, Frank Zappa und Duke Ellington. Chris
Ware und Art Spiegelman pflegen ihre Vorliebe für Klassiker auch
im Bereich der Coverillustration. Ware gestaltet vor allem Reissues alter
Ragtime-Platten und Spiegelman nahm sich der Frontseite eines neuaufgelegten
Albums des wahrscheinlich besten Zeichentrickfilm-Komponisten überhaupt
an: Mr. Spike Jones, dessen Musik keine Bilder braucht.
Während die meisten Bands Illustrationen in Auftrag geben, haben
es diejenigen einfacher, bei denen ein oder mehrere Comic-Zeichner mitspielen.
Es versteht sich von selbst, dass die Tonträger der folgenden Bands
ein Comiccover zieren.
Monsters of Rock – Comiczeichner als
Musiker
Ein Festival, bei dem ausschließlich Bands von Comic-Zeichnern auftreten,
könnte z.B. so aussehen: Robert Crumb und seine Les Primitifs du
Futur eröffnen die Konzertreihe mit leichtem französischem Cafehaus-Jazz
und Chanson der 30er Jahre. Evelin und CX Huth hätten Minitchèv
wiedervereinigt und würden mit ihrem Elektropop auf den Abend einstimmen.
Die Umbaupause würde der Junge mit seiner Gitarre Klaus Cornfield
überbrücken und im Anschluss käme Jim Avignon mit seiner
One-Man-Show Neoangin auf die Bühne. Danach würde Christian
Farner bei Knarf Rellöm und NM Farner Schlagzeug spielen. Krönender
Abschluss wäre dann die Punk ’n’ Roll-Show von Thomas
Otts „The Playboys“, zu der Gary Panter ein infernalisches
Gitarrensolo geben würde.
Return Of The Picture-Disc
Comics und Musik berühren sich an vielen Punkten. Doch im Grunde
wäre es eine oberflächliche Beziehung, wenn es nicht einige
wenige Publikationen gäbe, die es wagten, einen Schritt weiterzugehen.
Zu diesen Ausnahmen gehört Gary Panters „Invasion of the Elvis
Zombies“, dem eine Flexi-Disc beigefügt ist. Sein selbst produzierter
Krach hat nur indirekt etwas mit dem Comic zu tun. Und doch drückt
es so viel mehr über die Kraft und Intention des Malers aus, dass
ohne die Musik etwas fehlen würde. Diesen Faden greift auch das Musik-Comic-Text-Projekt
Jimmy Draht in seinem Konzept auf. 1997 erstmals zum gleichnamigen Landsberger
Comicfestival publiziert, verstand sich Jimmy Draht schon immer als Drehgelenk
zwischen musikalischen, literarischen und zeichnerischen Publikationen
abseits des Mainstream, die es in neue Zusammenhänge zu stellen gilt.
Jimmy Draht überrascht seit sechs Ausgaben mit ungewöhnlichen
Formaten, liebevollen Siebdrucken und Musik-Samplern, die Lieblings-Mix-Kassetten-Status
haben. Die aktuelle Jimmy Draht Ausgabe „Platte“ ist eine
Hommage an ein 80er Jahre Relikt, der Picture-Disc. Man kann alle elf
Scheiben, die u.a. von Leo, Batia Kolton, Jim Avignon und Jan Kruse gestaltet
sind, auflegen, doch nur die aus Vinyl sollte man dabei abspielen.
Matthias Schneider
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